Zu einem GRÜNEN Energiekongress im Bayerischen Landtag kamen am Samstag ,11. Mai, viele GRÜNE Mitglieder und Mandatsträger und andere Interessierte im Bayerischen Landtag zusammen. Der Plenarsaal war so voll wie vermutlich selten. Aus Hohenbrunn waren Georg Bauer, Martina Kreder-Strugalla und N.Z. dabei.
Nach Begrüßung und Themeneinführung durch Ludwig Hartmann und Martin Stümpfig gab es einen Beitrag von Ramona Wüst, Sprecherin Fridays for Future München. Was als „Grußwort“ angekündigt war, wurde zur Standpauke an die Generation, die seit Jahrzehnten für Ressourcenraubbau und Klimawandel verantwortlich ist, die über die Konsequenzen tausendfach belehrt wurde, sie gehört und gelesen hat und dennoch die notwendige Kehrtwende nicht zustande bringt. Eindringlich appellierte die 25jährige Studentin an die Politik, dass uns angesichts der sicht- und spürbaren Folgen des Klimawandels nur noch eine kurze Reaktionszeit bleibt. Es gehe längst nicht mehr nur um die Sicherung unseres Wohlstandes, sondern um das Überleben von Millionen Menschen. Man könne nicht weiter darüber diskutieren, was politisch machbar sei, es gehe um die radikale Orientierung an planetaren Wachstumsgrenzen. Eine Wirtschaft, die unsere Lebensgrundlagen und viele Menschen gnadenlos ausbeutet, sei moralisch nicht mehr zu rechtfertigen. Diese Art des Wirtschaftens habe uns, habe die Menschheit in die größte Krise geführt. Es bestehe nun die moralische Pflicht, aber auch die Chance, unter enormem Zeitdruck eine völlig neue Wirtschaft und eine völlig neue Gesellschaft zu entwickeln. Ramona Wüst wurde mit der Zusage weiterer Unterstützung durch die GRÜNEN und großem Applaus verabschiedet.
Es folgte der Vortrag von Prof. Dr. Schellnhuber, Dir. em. Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er eröffnete mit der Bemerkung, dass er gerne hier vortrage, seien die GRÜNEN doch als einzige Partei bereit, sich an den wissenschaftlichen Wahrheiten zu orientieren. Sein Vortrag war mit dem sperrigen Titel überschrieben: Im Klimaspiegel – Das neue Narrativ der Moderne.
Er forderte die Zuhörer dazu auf, sich die heutige Welt ohne das CO2-Problem, das den Klimawandel verursacht, vorzustellen. Wäre die Welt dann in Ordnung? Ganz klar NEIN! Die Moderne habe gut angefangen. Die ersten Dampfmaschinen waren eine Errungenschaft zum Wohle der Menschheit. Die Entwicklung sei dann aber mit fortschreitender Industriealisierung pervertiert. Wir sitzen seit 200 Jahren in der Goldgräberökonomie fest (Claim abstecken, mit der Waffe verteidigen, Bodenschätze ausbeuten), so Schellnhuber, und sind dabei, die ganze Welt in eine tote, leere Goldgräberstadt zu verwandeln. Wir sind in einem schlechten Film und die Frage ist, ob es in diesem schlechten Film noch ein gutes Ende geben kann. Die Klimakrise zeigt uns, spiegelt uns sozusagen, dass CO2 nicht unser einziges Problem ist, dass die Moderne ein ganz neues Narrativ braucht.
Schellnhuber wurde dann naturwissenschaftlich konkret: Ein Anstieg der Durchschnittstemperatur muss unbedingt begrenzt werden, das 1,5 Grad-Ziel darf nicht überschritten werden. Es muss uns klar sein, dass die Begrenzung der Erderwärmung nur zu erreichen und die anvisierte Jahresdurchschnittstemperatur nur zu halten ist, wenn laufend entsprechende Ausgleichsprozesse funktionieren und alle sog. Kippelemente einigermaßen in der Balance bleiben. Er zog den Vergleich zur Körpertemperatur: in einem engen Korridor (36,5 bis 37,0 Grad) ist alles in Ordnung, eine Erhöhung um 2 Grad bedeutet eine Erkrankung, bei einer Erhöhung um 3 Grad wird es kritisch, bei weiterer Erhöhung kollabiert ein Organ nach dem anderen, das führt zum Tod. Wir müssen also, um zu überleben, um jedes zehntel Grad kämpfen!
Tatsächlich sind viele Kippelemente in Gefahr: So ist unsere Wettersituation 2018 (hohe Temperaturen und außergewöhnlich geringe Niederschlagsmengen) wissenschaftlich belegbar auf eine Veränderung des Jetstreams auf der Nordhalbkugel zurückzuführen. Ein gleichmäßiger Jetstream wird angetrieben durch die Temperaturdifferenz zwischen kalter arktischer Luft im Norden und milderen Temperaturen in südlicheren Regionen, er bewegt sich als schneller Windstrom von West nach Ost mit Wellenbewegungen. Weil die Temperaturdiffererenz mit der Erderwärmung immer mehr abnimmt, werden diese Wellen größer, der Jetstream „hängt durch“, wird schwächer und langsamer. Die Wettersituation und mit ihr die Hitzeperioden bleiben über außerordentlich lange Zeit stabil und ortsfest.
Das Abschmelzen der arktischen Eisschilde durch Erwärmung von Atmosphäre und Ozeanen ist ein weiteres von zahlreichen Kippelementen, die zunehmend außer Balance geraten. Der Anstieg des Meeresspiegels ist unausweichlich, die Frage ist nur noch, um wie viel er sich verändern wird. Hinzukommt, dass sich Kontinente und Wasserflächen unterschiedlich schnell und stark erwärmen. Zahlreiche Küstenzonen müssen sich „entleeren“, andere Gebiete, die inneren Tropen, werden aufgrund lebensfeindlicher Temperaturen unbewohnbar. Nicht Millionen, sondern Milliarden von Menschen werden absehbar ihre Heimat verlassen. In ihrer Dimension nicht wirklich vorhersehbar aber sehr wahrscheinlich sind mögliche Kaskadeneffekte und galoppierende Treibhauseffekte (Zunahme der Treibhausgase durch sterbende Wälder, Auftauen von Permafrostgebieten usw.), sie tragen die Gefahr einer völligen Verselbständigung in sich.
Es ist bereits weit nach 12:00 und dennoch sind Staaten (z.B. Kanada) auf unserem Planeten noch auf einem „5 Grad-Kurs“, d.h. ihr CO2-Ausstoß wird, wenn kein Umsteuern erfolgt, unweigerlich eine in den Folgen nicht vorstellbare Erderwärmung um 5 Grad nach sich ziehen. Auch Deutschland ist mit einem „3-Grad-Kurs“ auf einem schlechten, inakzeptablen Weg. Länder, etwa in Zentralafrika, mit einem noch erträglichen „1,5-Grad-Kurs“ aber liegen in Regionen, die voraussichtlich unbewohnbar werden. Menschen, die am wenigsten CO2 emittieren und kaum zur Erderwärmung beitragen, wird der Klimawandel also am härtesten treffen.
Schellnhuber unterstreicht, dass dies alles mehr als nur beunruhigend ist, und spricht es deutlich aus: Ich bin in Panik. Er gibt damit Greta Thumberg und der Fridays-for-Future-Bewegung voll und ganz recht. Wer hier noch von „Alarmismus“ rede, ignoriere den Ernst der Lage. Wenn das Haus brennt, so Schellnhuber, diskutiert niemand mehr mit dem Feuerwehrhauptmann, warum wohl ein Brand ausgebrochen ist, und führt zunächst ein Gespräch mit dem Gutachter über die Folgekosten – alle helfen beim Löschen! Unsere Erde ist heiß, sie „brennt“ – wir müssen jetzt retten, was noch zu retten ist.
Schellnhuber hält eine Doppelstrategie für unabdingbar: CO2-Ausstoß drastisch verringern und natürliche CO2-Senken (unsere Ökosysteme, Meere und Wälder) schützen und stärken, damit sie weiterhin CO2 aufnehmen können. Tatsächlich aber, so Schellnhuber, zerstören wir unsere Freunde. Die Meere werden plastikvermüllt, Regenwald wird gerodet, industrielle Intensivlandwirtschaft zerstört die Biodiversität.
Und dies ist es nicht allein: Die Vermögensverteilung auf dieser Welt ist in einem absurden Maße ungleich, Nationalpopulisten kehren zurück … Wir sind überall auf dem falschen Dampfer! So kommt Schellnhuber am Ende seines Vortrages auf den Klimaspiegel und sein Anliegen eines ganz neuen Narrativs für die Moderne zurück. Nur in Stichworten umreißt er schließlich, wohin die Reise gehen muss:
zirkulär statt inflationär
Wir müssen zu zirkulären Wirtschaftskreisläufen kommen, die ressourcenschonend sind und die Wertschöpfung vor Ort bei den Menschen belassen, anstelle des inflationären Wirtschaftswachstums und der Ausbeutung ganzer Kontinente.
polizentrisch statt konzentrisch
Die Konzentration auf wenige Metropolen/Metropolregionen mit Verschmutzungs-, Verkehrs-, Wohnungsproblemen, usw. ist ein Irrweg. Wir brauchen viele, kleinere, regional verteilte Zentren, in denen nachhaltiges Leben und Arbeiten gut vereinbar sind.
solidarisch statt vorteilgetrieben
Das ausschließlich profitgetriebene Handeln, die absolute Dominanz des Ökonomischen führt in die Sackgasse. Wir haben die moralische Pflicht, die Ausbeutung von Menschen und Lebensgrundlagen zu beenden und den nächsten Generationen eine lebenswerte und lebensfähige Welt zu hinterlassen.
evidenzbasiert statt machtgesteuert
Unsere Entscheidungen und unser Handeln müssen auf (wissenschaftlichen) Wahrheiten basieren statt von (Einzel-)Interessen getrieben zu sein.
Wie wird es weitergehen? Wie wird das Ganze ausgehen? Schellnhuber schöpft, so sagt er, aus zwei wichtigen Instanzen, die der Wissenschaft zuhören, eine gewisse Hoffnung. Es sind dies die Fridays-for-Future-Bewegung sowie Papst Franziskus, der in seiner 2015 veröffentlichten Verlautbarung „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ (Enzyklika laudato si) die Notwendigkeit zum Umwelt- und Klimaschutz sowie bestehende soziale Ungerechtigkeiten beleuchtet und zu einem weltweiten Umdenken auffordert. Während des lang anhaltenden Schlussapplauses kam Schellnhuber noch einmal mit einer Botschaft zum Mikrofon zurück: „Wir schaffen das!“
Nach einer kurzen Mittagspause war der Nachmittag dann der Workshoparbeit gewidmet mit den Themen CO2-Bepreisung, Was kommt nach den Vereinbarungen zum Kohleausstieg?, E-Mobilität, Post-EEG-Anlagen.
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