Leben mit Behinderung – Wohnen mit Behinderung war Thema unseres ersten GRÜNEN FORUMS in Hohenbrunn am 21. März 2018. Die Veranstaltung fand im Pfarrsaal St. Stephanus statt – übrigens dem einzigen für eine solche Veranstaltung verfügbaren, größeren Versammlungsraum in Hohenbrunn, der „halbwegs barrierefrei“ erreichbar ist.
Kernforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention sind Selbstbestimmung, Diskriminierungsfreiheit und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit Behinderung. Wirklich jeder Mensch soll die gleichen Chancen haben. Wie können wir das erreichen? Was sind die wichtigsten Rahmenbedingungen für ein selbstbestimmtes Leben mit Behinderung? Wie leben und wo wohnen behinderte Menschen? Unser Informations- und Diskussionsabend war ein Angebot an alle in Hohenbrunn und in der Region, besonders auch an kommunale Entscheidungs- und Verantwortungsträger, sich mit der Situation behinderter Menschen konkret auseinander zu setzen und mit erfahrenen Praktikern ins Gespräch zu kommen.
Frauke Schwaiblmair, Vorsitzende des Behindertenbeirates im Landkreis München (BBLKM) und GRÜNE Kandidatin für den Bezirkstag Oberbayern, präsentierte Zahlen zur Situation behinderter Menschen: Durchschnittlich lebt jeder zehnte Bürger in Deutschland mit einer Behinderung, dabei sind ältere Menschen häufiger von Behinderung betroffen als jüngere. Behinderte Menschen leben zu einem großen Teil in Großstädten und Ballungsräumen, weil es dort große (Versorgungs-) Einrichtungen gibt. Im Landkreis München sind es 9,4% Menschen mit Behinderung, sie wohnen v.a. in Landkreisgemeinden mit Pflege- und Betreuungseinrichtungen. Deshalb ist der Anteil behinderter Menschen in den einzelnen Gemeinden sehr unterschiedlich, in manchen Gemeinden liegt er bei lediglich 6%, in anderen über 12%.
Können diese Menschen im Landkreis München ein wirklich selbstbestimmtes, diskriminierungsfreies Leben führen, ein „Leben so wie ich es mag“? Davon sind sie noch weit entfernt. Ein großes Hindernis sind fehlende Wohnungen, Wohnungen, die wirklich behindertengerecht sind und die vielfältigen Bedürfnisse aufgrund unterschiedlicher Behinderungen berücksichtigen, sowie entsprechend große Wohnungen, die für inklusive Wohngruppen geeignet sind. Die Überhitzung des Wohnungsmarktes trifft Menschen mit Behinderung besonders hart.
Dort wo es bisher gelang, geeigneten Wohnraum zu finden oder zu schaffen, konnten in den vergangenen Jahren integrative Wohngemeinschaften entstehen. Wie das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung unter einem Dach gelingen kann, schilderte Rudi Sack von Gemeinsam Leben Lernen e.V., einer Initiative, die seit 1989 zehn integrative Wohngemeinschaften in Stadt und Landkreis München auf den Weg gebracht hat und betreut. Das Wohngruppenkonzept des Vereins wurde zum Erfolgsmodell. In einer Wohngemeinschaft wohnen jeweils fünf Bewohner mit kognitiver Behinderung und vier Bewohner ohne Behinderung, sowie (unverzichtbar!) eine sozialpädagogische Fachkraft in Leitungsfunktion und ein/e Jugendliche/r im freiwilligen sozialen Jahr. Für Krankheits- und Notfälle gibt es ein Netzwerk im Hintergrund aus Vereinsmitgliedern, Familienangehörigen, Freunden. Die Bewohner ohne Behinderung, überwiegend junge Leute, die hier eine etwas andere Studenten-WG gefunden haben, übernehmen klar abgegrenzte Aufgabenbereiche und wohnen dafür mietfrei.
Peter Pabst vom Club Behinderter und ihrer Freunde e.V. informierte über Wohnbedarfe für Menschen mit unterschiedlichen körperlichen Einschränkungen und entsprechende Lösungsmöglichkeiten. Dabei ist zu denken an Menschen, die in ihrer Mobilität stark eingeschränkt bzw. Rollstuhlfahrer sind und ganz andere Ausstattungsmerkmale benötigen (z.B. Schwellenfreiheit, Rampen, größere Bewegungsflächen und Durchgangsbreiten, leicht erreichbare Bedienungselemente, motorische Öffnungsmechanismen) als Menschen mit Sehbehinderung oder blinde Menschen, die auf taktile, akustische und haptische Orientierungshilfen angewiesen sind, oder hörbehinderte und gehörlose Menschen, die z.B. unterschiedliche optische Unterstützungen brauchen.
Die an die Beiträge der ReferentInnen anschließende Diskussion machte deutlich, dass eine unabhängige Lebensführung, wie sie die UN-Konvention fordert, für behinderte Menschen nur möglich ist, wenn sie in einem selbstgewählten, individuellen Wohnraum so weit wie möglich selbstständig leben können. Viele Behinderte sollen und wollen nicht gezwungen sein, in großen Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen oder ein Leben lang in der Familie und abhängig von ihr zu leben. Im Landkreis München besteht ohne Zweifel ein erheblicher, ungedeckter Bedarf an bezahlbaren, dezentralen, behindertengerechten Wohnraumstrukturen. Die zahlreichen Interessierten, die unsere Veranstaltung besucht haben, und verschiedene konkrete Anfragen, die uns im Nachgang zu der Veranstaltung erreichen, unterstreichen dies. Wir fordern deshalb, im Rahmen der geplanten Wohnbauprojekte in der Gemeinde Hohenbrunn auch behindertengerechte Wohnungen und Wohnraum für integrative Wohngruppen zu realisieren.
Anfragen bei kurz- und mittelfristigem Bedarf an behindertengerechtem Wohnraum bitte an den Behindertenbeirat Hohenbrunn, Frau Tomlinson (tomlinsongudrunadgmail.com).
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